Wie der Zar und der Großherzog 1906 die „Bieberlies“ erlebten
Im Sommer des Jahres 1906 besuchte Zar Nikolaus II von Russland mit seiner Frau Alexandra (Schwester des Großherzogs) seinen Schwager, den Großherzog Ernst-Ludwig zur Sommerfrische in dessen Residenz in Darmstadt. Der Großherzog hatte im Jahr vorher in zweiter Ehe Eleonore von Solms, die im Schloss von Hohensolms aufgewachsen war, geheiratet. Der Großherzog wollte nun seiner Schwester und dem Zaren die Heimat seiner neuen Gemahlin zeigen. Sie fuhren zunächst zu viert mit der Eisenbahn von Darmstadt nach Gießen. Heute undenkbar, dass ein Regent eines so großen Landes wie Russland ohne Leibgarde unterwegs sein könnte. Von Gießen fuhren sie mit der Kutsche durch Heuchelheim in Richtung Hohensolms. Als die adlige Gesellschaft den Abendstern erreichte, wo die Biebertalbahn von der linken auf die rechte Straßenseite wechselte, stand der Zug mitten auf der Straße. Der Großherzog erregte sich ob des Hindernisses sehr und bestellt den Schaffner (damals Andreas Haus) zu sich, machte ihm Vorwürfe und drohte mit der Entlassung des Lokführers. Daraufhin bekam der Großherzog von seiner Gemahlin etwas ins Ohr geflüstert, was das Ärgernis umgehend besänftigte, so dass sowohl der Großherzog als auch der Zar dem Schaffner höflich die Hand reichten. Schnell wurde danach auch die Straße freigemacht und die Kutsche mit der illustren Gesellschaft konnte den Weg durch die Biebertaldörfer Rodheim und Bieber nach Hohensolms fortsetzen. In einer späteren Erzählung führt der Schaffner Andreas Haus die so plötzliche Besänftigung des Großherzogs auf folgendes zurück: Eleonore von Solms sei oft mit ihrer Mutter von Hohensolms kommend mit der Biebertalbahn nach Gießen gefahren und er habe den beiden adligen Damen immer höflichst geholfen, ihr Gepäck ein- und auszuladen. Dies hat wohl der Großherzog von seiner Gemahlin zugeflüstert bekommen.
Die Einstellung des Personenzugverkehrs der „Bieberlies“ an Ostern 1952 hat den Mundart-Dichter Georg Hess aus Leihgestern zu folgenden gereimten Zeilen inspiriert:
En Oabschiedsgruß!
Ach Liesche- „Biewerliesche“- etz wirschte pangsjoniert,wirscht, seit die Autobusse foah’n nu’ naut mie estemiert.
Dei’ Tempo eas zou langsam, drimm seu die Woage leer,
du mächsr aach zou viel Seitesprüng ean hinnerscht de Ve’kehr.
Drimm haste viele Feinde: de Fottschritt un die Eil’,
die Technik un die Mensche-Hast, dai kennt koa Langeweil.
Doach sei desch niet ve’geasse, host aach deu Flicht gedoo,
das reachent dir des Hinnerland un aach die Gäisser oo.
Host lange Juohr’n die Güter nooch Wunsch eus transportiert,
ean manchen, der zoum Wochenend ean’s Biwerdäälche fihrt.
Die Ärwetsleu ean Schüler, däi broochste hie un’ her,
ean eabbes-doas wiär u’geräächt- wann doas ve’gease wär’:
Die ausgebomte Gäisser, wai schlechte Zeire woar’n,
host doagelank du ohne Geald eans Biewerdoal gefoahrn’n.
Doas alles sei zuom Oabschied dir dankboar o’erkoat,
aach iwerall, wu speter noach dein Noome wird genoat.
Etz hoste „ausgepiffe“, deu Bimmel hot etz Rouh,
host off de Heuchelemmer Strouss nooch Ustern naut se dou.
„Es war einmal“ – Ja, Liesche, so fangen Märchen oo,
host du aach dreiundsechzig Jouhr’ der Menschheit Dienst gedoo,-
du must de Zeit halt weiche, wann dir’sch aach neat gefällt,
kimmst bei den Schrott- „Erinnerung“- u’dankboar eas die Welt!
Heimat- und Geschichtsverein Heuchelheim-Kinzenbach e.V. Arbeitskreis Ortsgeschichte