Zum Holocaust-Gedenktag am 27. Januar: „Sie lebten mitten unter uns…“
Am 27. Januar 1945 wurde das Todeslager (KZ) Auschwitz von sowjetischen Soldaten befreit. Ein sowjetischer Soldat schilderte dies später wie folgt: „Und dann standen wir von der 322 Division plötzlich vor dem Stacheldrahtzaun – auf der anderen Seite ausgemergelte Menschen. Man konnte überhaupt nicht mehr sehen, ob es Männer waren oder Frauen, Alte oder Junge, es waren menschliche Wesen mit weit aufgerissenen Augen und durchsichtiger Haut, sie lachten und weinten gleichzeitig.“ Das Datum 27.01.2045, das nun 80 Jahre zurückliegt, wird jährlich zum Anlass genommen, den Opfern der nationalsozialistischen Herrschaft zu gedenken. Während deren Herrschaft wurden in Europa zwischen 1941 und 1945 etwa 6 Millionen Menschen in staatlichem Auftrag systematisch ermordet. Die meisten Opfer des Holocaust (griechisch: etwa Brandopfer) waren Juden. Außerdem wurden auch mehrere hunderttausend Homosexuelle, Sinti und Roma, Behinderte und Oppositionelle umgebracht. Die Juden in Israel nennen den Holocaust „Shoa“ (etwa großes Unheil). In Heuchelheim lebten in 1938 noch 9 Mitbürgerinnen und Mitbürger jüdischen Glaubens, die im Holocaust den Tod fanden. Dazu kamen zwei Euthanasie-Opfer.
Altbürgermeister Otto Bepler hat 2002 zu dem in der Überschrift genannten Thema eine vom Kulturring Heuchelheim herausgegebene Broschüre erstellt, worin in seiner niedergeschriebenen Gedenkansprache vom 09.11.1988 (50-ter Jahrestag der „Reichspogromnacht“) das Leben und das Schicksal der Heuchelheimer Juden ausführlich geschildert ist. Dazu ist die am 9. November 2000 vor der Gedenktafel für die Opfer des Faschismus am alten Rathaus die unter dem Motto „Wir geben Hass und Gewalt keine Chance“ stehende Mahnwache mit Lichterkette gegen Rechts zitiert. Otto Bepler richtete in einer bewegenden Rede wegen des wieder neu aufflammenden Terrors gegen Andersdenkende, Juden und ausländische Mitbürger den Appell an die Bevölkerung „Schaut nicht weg – wir geben Hass und Gewalt keine Chance“. Der Aufruf wurde mit 261 Unterschriften unterstützt. Auch jetzt 23 Jahre später hat dieser Appell nichts von seiner Aktualität verloren.
Die Kulturring-Broschüre „Sie lebten mitten unter uns…“ mit eindringlicher Mahnung gegen Rechts wurde in 2002 jedem der damaligen über 400 Mitgliedern des Kulturrings kostenlos übersandt. Außerdem wurden die Schulen in Heuchelheim und Wettenberg in jeweils Klassenstärke damit versorgt. Zur vorgenannten Broschüre hat der damalige Vorsitzende des Kulturrings Werner Rinn ein Vorwort geschrieben, aus dem nachstehend in Auszügen zitiert wird: „Nichts erscheint so unfassbar wie die Tatsache, dass in der Zeit des „Dritten Reiches“ nahezu sechs Millionen Juden „planmäßig ausgerottet“ worden sind. Die Zahlen sind so ungeheuerlich, dass der Verstand sich weigert, sie aufzunehmen, dass das Gefühl außerstande ist, ihr Grauen zu ermessen. Kein Mensch wird jemals das Leid zu Ende denken können, das hinter diesen Zahlen steht: die Demütigung, den Hunger, die Scham, die Todesangst. Wenn wir aber einer solche Wahrheit ins Auge sehen müssen, dann ergibt sich die quälende Frage, was denn die Ursache so ungeheuerlicher Verbrechen gewesen sei. Wie war es möglich, dass man mit unschuldigen Menschen so verfuhr? Wie ist ein Hass mit so furchtbaren Folgen zu verstehen? Eine Erzählung des russischen Dichters Leo Tolstoi hat den Titel „Lässt du da Feuer brennen, du löscht es nimmer aus“. Man hat das Feuer des Hasses brennen lassen und es nicht gelöscht, als es noch Zeit gewesen wäre. Man hat die Hassplakate und Hassgesänge zugelassen, als noch die Freiheit bestand, sich dagegen zu wehren. Aus dieser Unterlassungssünde sind alle späteren hervorgegangen. Wir dürfen zu all dem Unrecht, das im Namen unseres Volkes verübt wurde, nicht noch das Unrecht des Vergessens hinzufügen. Schon die alten Griechen wussten, dass es keine freie Staatsform geben kann ohne Bürgertugenden. Wo die Bürger eines Gemeinwesens nicht bereit sind, für ihre Freiheit Opfer zu bringen und sich um die öffentlichen Dinge zu kümmern, da liefern sie sich selbst dem nächstbesten Tyrannen aus.
„Eine Schicht, die keine Opfer für Politik bringt, darf keine Ansprüche stellen. Sie verzichtet auf Herrschaftswillen, also muss sie beherrscht werden.“ Das sagte ein deutscher Liberaler (Friedrich Naumann) von den Gebildeten, es gilt aber ebenso für das ganze Volk. Sich einzubilden, Demokratie müsse von selbst als „ideale Staatsform“ funktionieren, während ihre Bürger, mäkelnd oder nur am Einkommen interessiert, hinter dem Ofen sitzen, ist eine Torheit, die bereits einmal teuer bezahlt werden musste. Jedermann muss also zu seinem Teil Verantwortung übernehmen, er muss zu Opfern bereit sein. Dazu muss sich Respekt vor der Meinung anderer gesellen, aber auch Abwendung vom Hass, der allzu blind macht, als dass er ein guter Ratgeber sein könnte. Es braucht Geduld, Vertrauen auf die kleinen Fortschritte und Verzicht auf politischen Wunderglauben und die von ihm angepriesenen Allheilmittel“.
Nachstehend noch die vom damaligen Kulturring-Vorsitzenden angefügte letzte Seite der Broschüre mit der Überschrift: Zahlen klagen an:
In der Nazidiktatur wurden alle Morde mit bürokratischer Genauigkeit verzeichnet. Nachfolgend das Ergebnis der „Endlösung“:Heimat- und Geschichtsverein Heuchelheim-Kinzenbach e.V. Arbeitskreis Ortsgeschichte