Waldstreit Heuchelheim/Kinzenbach - Heimat- und Geschichtsverein Heuchelheim-Kinzenbach e.V.

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Der Wald-Streit zwischen Heuchelheim und Kinzenbach

Vor nunmehr 250 Jahren endete endlich der fast 200 Jahre (von 1578 bis 1774) andauernde Wald-Streit zwischen den bei den Orten, der noch über Generationen nachwirken sollte. Was war die Ursache dieser Streitigkeiten, der die Bewohner beider Ortsteile fast ununterbrochen in Atem gehalten hat? 1585 hatte man das von Hessen-Darmstadt und Nassau Weilburg gemeinsam verwaltete sogenannte gemeine Land an der Lahn aufgeteilt. Dabei kam unter anderem Heuchelheim zu Hessen-Darmstadt und Kinzenbach zu Nassau-Weilburg. Damit sollten die dauernden Zwistigkeiten, die sich durch die gemeinsame Verwaltung ergaben, beendet werden. Der Heuchelheim und Kinzenbach gemeinsam gehörende Wald wurde jedoch nicht auf die beiden Gemeinden aufgeteilt, was die Streitigkeiten insoweit nicht beendete. Der Wald hatte damals für die Gemeinden eine ungemein wichtige Bedeutung. Die Häuser wurden von Zimmerleuten in Fachwerkbauweise erstellt, wozu man viel Holz benötigte. Auch die Feuerung in den Häusern erfolgte praktisch nur mit Holz. Darüber hinaus hatte der Wald eine wichtige Funktion für die Tierfütterung. Schweinehirte trieben sowohl die Schweine des Dorfes als auch Großvieh zur Fütterung in den Wald. Da bereits durch Auslichtung die Ressourcen des Walds begrenzt und die Größenverhältnisse bezüglich der Einwohner unterschiedlich waren, blieben Streitigkeiten zwischen den beiden waldnutzenden Gemeinden nicht aus. Die erste 1578 urkundliche Erwähnung eines Streites betraf die vor dem Wald gelegene Völkerbachweide (später teilweise Sportplatz und danach ab ca. 1950 Gartengelände der Heimatvertriebenen), die von den Kinzenbachern mit Weiden zur Gewinnung von Flechterzeugnissen bepflanzt worden war und somit als Weide nicht mehr zur Verfügung stand.
 
Nachstehend nur einige Beispiele aus der damaligen turbulenten Zeit:
In manchen Jahren gab es einen zweiten Eichelfall. Auf diese Nachmast erhoben die Kinzenbacher allein Anspruch, da das Gebiet nassauisch sei und beschlagnahmten die Heuchelheimer Schweine, als der Heuchelheimer Schweinehirt zur Nachmast in den Wald ziehen wollte. Etwas später nahmen die Heuchelheimer den Kinzenbachern die gesamte Schweineherde ab und verkauften sie an einen Butzbacher Metzger. Die Kinzenbacher wiederum nahmen den Heuchelheimern Pferd und Wagen als Pfand weg, beschlagnahmten Heuchelheimer Schweine und verkauften diese. Im Gegenzug nahmen die Heuchelheimer den Kinzenbachern 8 Pferde ab. Immer wieder mussten Soldaten, teilweise bis zu 100, eingesetzt werden, um die Streithähne zu trennen und einen Austausch der Pfänder möglich zu machen. Der Streit gipfelte darin, dass man den Heuchelheimern, als sie im Wald waren, 17 Ochsen, 2 Pferde und 3 Wagen Holz abnahmen. Die Heuchelheimer sind daraufhin in Scharen nach Kinzenbach gezogen und nahmen alles mit, was ihnen in die Hände fiel. Die Chronik schreibt dazu: „300 Personen seien mit Stangen, Heu- u. Mistgabeln nach Kinzenbach in nassauisches Gebiet eingefallen und hätten die angetroffenen Untertanen teils mit mörderischen Schlägen angetastet und in schmählicher Gefangenschaft nach Heuchelheim fortgetrieben. Einige seien nach Gießen ins Stockhaus (Gefängnis) geschleppt worden, wo sie ohne Stroh auf hartem Pflaster liegen mussten“. Von der Verbitterung der Heuchelheimer zeugt auch die Behandlung, die sie dem Kammerboten vom Reichsgericht in Wetzlar angedeihen ließen, als dieser den Befehl zur Auslieferung der Pfänder überbringen wollte. Der Streit ging also damals bis zum höchsten Gericht des Reiches. Die Chronik schreibt: „Die Heuchelheimer hätten den Kammerboten dergestalt empfangen, dass er kaum mit dem Leben davongekommen sei. Man hätte ihn mit mörderischen Stangen und Prügeln umbringen wollen“.
 
Das geschilderte ist nur eine kleine Auswahl aus den Streit-Kapriolen, die sich damals  im Laufe der Jahrzehnte abgespielt haben.
Es kam dann doch zum Austausch der Pfänder und im Jahre 1774 nach Ende des 7-jährigen Krieges (1756-1763) und nach dem Tod des alten Weilburger Fürsten wurde endlich der Wald durch Setzen von Grenzsteinen geteilt, nachdem man sich auf einer Konferenz zwischen den Regierungen von Hessen-Darmstadt und Nassau-Weilburg und Vertretern von Heuchelheim und Kinzenbach in der Amtmanns-Mühle in Rodheim einig geworden war. Die Steine, die jetzt zum Teil nach vorhanden sind, wurden zunächst auf der einen Seite mit NW für Nassau-Weilburg, ab 1816 geändert in KP (Königreich Preußen), und auf der anderen Seite mit HD für Hessen-Darmstadt gekennzeichnet. Lediglich beim Setzen der Trift-Steine (gekennzeichnet mit einem T), von denen heute nur noch wenige vorhanden sind, für den Weg des Viehtriebs zum Wald gab es noch Differenzen.
 
Die Chronik berichtet noch, dass die Heuchelheimer in 1692 im Wald einen Schweinestall errichteten, damit die Tiere zur Mast mit dem Hirten für einige Wochen draußen bleiben konnten (die Stelle heißt heute noch „Saustallsgrund“). 1723 habe man den Erlös für den abgebrochenen Schweinestall, wie allgemein für Waldholz üblich, im Verhältnis der Einwohnerzahl mit ¾ für Heuchelheim und ¼ für Kinzenbach verteilt.
 
Die über 196 Jahre (1578-1774) immer wieder aufflammenden Zwistigkeiten wirkten noch lange in beiden Gemeinden nach und bis zur Auflösung des Großherzogtums Hessen-Darmstadt und des Königreichs Preußen in 1918 gab es nur wenige menschliche Beziehungen über die quasi ausländische Grenze zwischen den beiden Gemeinden.
  
Heimat- und Geschichtsverein Heuchelheim-Kinzenbach e.V. Arbeitskreis Ortsgeschichte
 
    
Online seit dem 27.12.2020
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