Die Hyperinflation vor 100 Jahren - Heimat- und Geschichtsverein Heuchelheim-Kinzenbach e.V.

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Die Hyperinflation vor 100 Jahren

Der 1. Weltkrieg von 1914-1918 hatte viel Geld gekostet. Er war nicht durch Steuern, sondern im Wesentlichen durch die Ausgabe von Kriegsanleihen finanziert worden. Diese Kriegsanleihen sollten nach dem „Siegfrieden“ mit der „Kriegsbeute“ in Form von Reparationen abgelöst werden. Die hohen Reparationen, die Frankreich nach dem von ihm verlorenen Krieg 1870/71 gezahlt hatte, war vielen noch in Erinnerung. Diese Rechnung ging nicht auf, weil der Krieg verloren gegangen war und das Deutsche Reich die Kriegslasten nicht auf andere Staaten abwälzen konnte. Im Gegenteil, das Reich musste sich aufgrund des Friedensvertrags von Versailles 1919 zu Reparationsleistungen an die Siegermächte (insbesondere an Frankreich) verpflichten, was die Inflation anheizte, denn die Reparationen wurden auch über das Drucken zusätzlichen Papiergeldes bezahlt. Weil die Reichsregierung nicht in der Lage war, die Reparationen, die in Goldmark, Devisen und Sachgüter zu erbringen waren, zu bezahlen, kam es zur Ruhrbesetzung  durch französische und belgische Truppen. Die deutsche Regierung rief zum „Ruhrkampf“, zum passiven Widerstand gegen die Besetzung auf. Den Streikenden wurden die Lohnfortzahlungen durch das Reich versprochen. Das Geld dafür musste die Regierung durch die Notenpresse erzeugen, wodurch die Geldvermehrung immer rascher wurde und die Inflation sich dramatisch beschleunigte. Der Staat war hoch verschuldet und druckte Geld, um seine Verbindlichkeiten zu bezahlen. Damit begann jene Zeit der Hyperinflation, die noch Generationen von Deutschen mit Schrecken verfolgte. Die Inflation stieg derartig, dass immer neue Geldscheine mit immer höheren Nennwerten gedruckt werden mussten. So sank die Mark immer stärker im Wert und damit stiegen die Waren ständig im Preis. Da die Löhne erst immer hinterher erhöht wurden, waren die Lohnempfänger übel dran. Die Preise stiegen von Tag zu Tag und die Lohnzahlungstermine mussten verkürzt werden. Waschkörbeweise trugen Menschen Papiergeld in die Geschäfte, um es schnell gegen Waren einzutauschen. Im November 1923 kostete 1 kg Roggenbrot 233 Milliarden, ein Zentner Briketts 474 Milliarden und 1 kg Rindfleisch 4,8 Billionen Mark. Viele Händler tauschten Waren nur noch gegen Lebensmittel und Kohle oder schlossen ihre Geschäfte ganz.
 
Ab dem 15. November 1923 beendete die Rentenbank die damalige Hyperinflation. Der Wert einer Rentenmark (später Reichsmark) wurde mit einer Billion Papiermark festgelegt. Die Masse der abhängig Beschäftigten und die Geldvermögensbesitzer fanden sich in Armut wieder, während Sachwertbesitzer wie Industrielle und Landwirte von der Inflation profitierten. Man erzählte sich im Dorf, dass ein Mann für eine verkaufte Kuh so viel erhielt, dass er damit alle Handwerker bezahlen konnte, die an seinem vorher gebauten Haus gearbeitet hatten. Die Inflation traf auch den gerade vom Turnverein begonnenen hiesigen Turnhallenbau. Die Backsteine wurden von arbeitslosen Vereinsmitgliedern selbst hergestellt. Aufgrund fehlenden Bargeldes konnte von den Vereinsmitgliedern auch Korn gespendet werden, was der Verein wieder zur Zahlung benutzte. Auch die vom Verein „Kinderfreund“ im Hause Wilhelmstr. 5 betriebene Kleinkinderschule musste in der Inflationszeit ab 1922 stillgelegt werden, weil keine Mittel mehr zur Bezahlung der sachlichen und persönlichen Kosten vorhanden waren. Erst 1929 gelang die Wiedereröffnung.
Als jüngst vor einigen Monaten die Teuerungsraten vor allem für Energie und Lebensmittel nach dem russischen Angriff auf die Ukraine in Deutschland und im Euroraum stark anstiegen, fragten sich manche, ob wieder eine Inflation wie in den Zwanzigern drohe. Bis auf 8,8 % kletterte die Teuerungsrate im Herbst 2022. Das war der höchste Stand seit der Wiedervereinigung. Von Verhältnissen wie 1923 sind die Preissteigerungen der vergangenen beiden Jahre freilich weit entfernt, auch dank des Gegensteuerns der Notenbanken, die mehrmals die Leitzinsen nach oben gesetzt haben, was Kredite verteuerte, die Nachfrage bremste und die Inflation dämpfte. Im Oktober des vergangenen Jahres fiel die jährliche Inflationsrate in Deutschland auf 3,8 % mit weiter geringfügig fallender Tendenz. Auf Dauer könnte jedoch die enorm hohe Staatsverschuldung auch Auswirkungen auf die Inflation haben.

Heimat- und Geschichtsverein Heuchelheim-Kinzenbach e.V. / Arbeitskreis Ortsgeschichte
Online seit dem 27.12.2020
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